Der Dreiherrenstein

Mit dem ersten Glockenschlag, morgens um 5 Uhr, an dem Freitag nach dem Sonntag Quasimodogeniti 1)  des Jahres 1551,  machten sie sich auf den Weg.

Eine richtige Prozession war es, die sich traf, um die Grenzen der Gillenfelder Herrlichkeit (Gemarkung) abzuschreiten. Johann Mull von Ulmen, kanonischer Probstmeister des Grundherrn St. Florin in Koblenz hatte zu diesem Grenzbegang die ganze Gemeinde Gillenfeld, besonders das junge Volk, die Schöffen und die Vertreter der benachbarten Herrlichkeiten geladen. Auch „Anstößer“, Nachbarn mit denen es Grenzdifferenzen gab, kamen hinzu. Am Ende des Tages sollten alle den Gemarkungsverlauf kennen, akzeptieren und respektieren und das auf lange Zeit. Das Ergebnis wurde in einem „Bezirks- und Gangbuch“ protokolliert. Damals kannte man noch keine vermessenen und kartierten Grenzen. Wo möglich, dienten Gewässer der Grenzziehung, man orientierte sich an markanten topografischen Punkten, vereinzelt wurden Steine gesetzt und zwischen diesen, wenn erforderlich Gräben gezogen.

Gegen Abend kam die Prozession im Tal der Tippelbach 2) an und zwar an einem Punkt mit besonderer Bedeutung, denn hier trafen die Territorien von drei Landesherren zusammen: die des Kurfürsten von Trier, des Grafen von Manderscheid und die Gillenfelder Gerechtigkeit, die Kaiser Heinrich II dem Florinstift zu Koblenz im Jahre 1016 verliehen hatte.

Diese Stelle vermerkte der Schreiber sinngemäß wie folgt im Bezirks- und Gangbuch: Von der Tippelbach aus steht ein Stein, der dreier Herren Gerechtigkeit ausweist, Trier, vom Hause Daun, des Grafen von Manderscheid und Gillenfelder Gerechtigkeit und wenn man darauf einen Tisch stellt, so können die drei Herren dort zusammen essen und trinken und jeder auf seiner Herrlichkeit sitzend.

Die drei Herren am Tisch

Drei Herren an einem Tisch! Allerdings die heutigen Herren: v.l.n.r Ortsbürgermeister Heinz Martin, Strohn, als kurtrierischer Amtmann zu Daun, Ortsbürgermeister Uwe Kröffges, alias Graf Dietrich von Manderscheid und Ortsbürgermeister Karl-Heinz Schlifter in der Rolle des kanonischen Probstmeisters von St. Florin. Dahinter stehend: Günter Schenk als historischer Berichterstatter


Analog hat bereits das Gillenfelder Bezirks- und Gangbuch von 1524 das Dreiländereck beschrieben und auch das Manderscheider Weisthum von 1616, welches einen Grenzbegang der Grafschaft fixiert, verwendete eine ähnliche Formulierung. Daraus leitet sich der Name „Dreiherrenstein“ ab.

Ab 1555 gewann die Grenze zu Manderscheid eine weitaus höhere Bedeutung: Manderscheid war Luxemburger Lehen, durch Heirat war Luxemburg habsburgisch geworden und Habsburg trug zu dieser Zeit die spanische Königskrone. Führte der Weg Gillenfelder oder Strohner in die Grafschaft, so gingen sie „ins Spanische“. Wofür wir heute tausend und mehr Kilometer reisen, hatte man damals mit einem Schritt über den Dreiherrenstein geschafft.

Doch nicht nur als bedeutender und wackerer Grenzwächter stand der Dreiherrenstein über Jahrhunderte seinen Mann, sondern er spielte darüber hinaus eine finale Rolle in einer rechtlichen Auseinandersetzung vor dem Reichskammergericht in Wetzlar.

Nicht immer saßen die hohen Herren friedlich an einem Tisch. Gillenfeld lag als florinischer Besitz wie eine Insel im Kurtrierer Land und lud geradezu zur Arrondierung ein. Immer wieder streckten die Kurfürsten ihre Hände nach Gillenfeld aus und versuchten mit allerlei Tricks, aber auch mit Zwang und militärischer Gewalt den Status zu ihren Gunsten zu ändern. Die Repressalien trafen die Gillenfelder hart. St. Florin, sowie die Gillenfelder Vögte halfen verbal; militärisch vermochten sie nichts gegen den mächtigen Kurfürsten auszurichten. So blieb letzten Endes nur der Hilferuf der Gillenfelder an das Reichskammergericht.

Im ersten Prozess, von 1722 – 1724, brachten die Gillenfelder den Dreiherrenstein und die erwähnten Dokumente als Beweis dafür ein, dass Gillenfeld schon immer eigene Landeshoheit und Gerichtsbarkeit besessen hatte. Ebenso ein Zeugnis alter Einwohner zu Strohn vom 07.10.1723, das dies bekräftigte.

Gillenfeld gewann den Prozess, doch nicht lange hielten sich die Trierer zurück und das Spiel begann von vorn. 1769 sah man sich wieder in Wetzlar vor dem Reichskammergericht und wieder fiel der Richterspruch zugunsten Gillenfelds. Doch Trier legte Berufung ein und spielte auf Zeit. Das Ganze endete 1794 als französische Revolutionstruppen die linksrheinischen Gebiete besetzen  und die Herrschaftsstrukturen der Grafen, Fürsten, Kirchen und Klöster abschafften.

So haben wir an unserem Dreiländereck, welches heute die Gemarkungen Gillenfeld Strohn und Wallscheid scheidet,  mit dem Dreiherrenstein ein überaus interessantes, geschichtsträchtiges Relikt, welches unbedingt einer repräsentativen Darstellung bedarf.

So sah das 1959 auch Fritz Reiber, damaliger Hauptlehrer von Gillenfeld, der bei seinen Geschichtsforschungen auf die Dokumente um den Dreiherrenstein stieß und keine Ruhe gab, bis er ihn gefunden hatte. Reiber publizierte seine Erkenntnisse und markierte den Dreiherrenstein mit einer kleinen Metallplatte.

Damals leuchtete das weiße Schildchen aus einer bunten Blumenwiese und wies den Weg zum Dreiherrenstein. Der Einschnitt des Tippelbaches war ein anmutiges Wiesental, das sich Richtung Sammetbach erstreckte. Doch in den 60 Jahren seitdem hat sich viel geändert. Das Wiesental wurde aufgeforstet, mit einem Weg durchschnitten, weitere Eingriffe mit schwerem Gerät an Wald und Weg begruben den Dreiherrenstein unter sich und damit war er nicht nur im Bewusstsein der meisten Menschen, sondern auch faktisch verschwunden.

Unter dieser Wildnis war der Dreiherrenstein begraben

Dabei sollte es nicht bleiben! In der Gillenfelder Eifelvereinsortsgruppe wurde das Thema besprochen und als kulturelles Vorhaben in die Agenda aufgenommen.

Nach erfolglosen Grabungen konnte der Stein Ende 2018 mit moderner Messtechnik geortet und von der Überdeckung befreit werden. Nach kooperativem und finanziellem Beitritt der drei berührten Gemeinden  konnte das Projekt  zur würdigen Präsentation und zum dauerhaften Erhalt des Dreiherrensteins starten.

Ehe es im Frühjahr 2019 richtig losging, musste zunächst die Wildnis, die sich ausgebreitet hatte, in ihre Schranken gewiesen werden. Es waren umgestürzte und morsche Bäume zu beseitigen und die Instandsetzung des Wegedurchlasses war eine wichtige Vorarbeit.

Die primären Projektarbeiten richteten sich auf die Schaffung eines kleinen Platzbereichs, in dessen Mitte der Dreiherrenstein dominiert, eine dreisprachige Infotafel seine Bedeutung vermittelt und eine Ruhebank zum verweilen einlädt.

Der fertige Platz

Der Hauptdarsteller

Jürgen Keil bei Arbeiten am Wegedurchlass

v.l.n.r. Hermann-Josef Mayer und Josef Mais bei Fundamentarbeiten für Infotafel und Ruhebank

Bei den Erdarbeiten hatten wir maschinelle Unterstützung, aber vieles wurde im ehrenamtlichen Engagement von Mitgliedern der Gillenfelder Eifelvereinsortsgruppe umgesetzt, die viele Stunden in die Aktion am Tippelbach investierten.

Der Bedeutung des Projekts entsprechend, entschlossen sich die drei Gemeinden Gillenfeld, Strohn und Wallscheid zu einer öffentlichen Präsentationsveranstaltung  am 03. Oktober 2019. Rund 100 Interessierte pilgerten zum Dreiherrenstein und erlebten einen schönen Nachmittag mit einigen Überraschungen. In einer gekonnten Inszenierung fanden sie analog dem bildlichen Beschrieb die drei Ortsbürgermeister

mittelalterlich gewandet und die früheren Herren darstellend, gemeinsam an einem Tisch über dem Dreiherrenstein. Spannend und anschaulich war die Vermittlung der geschichtlichen Hintergründe und die gute Bewirtung sorgte ebenfalls für einen angenehmen Aufenthalt.

Im Resümee blieb die Feststellung, dass mit dem Dreiherrenstein, eingebunden in den schönen Platz im herrlichen Tippelbachtal unsere Region um ein kulturhistorisches und touristisches Kleinod reicher geworden ist.

1) – Sonntag nach Ostern
2) – Unterschiedliche Schreibweisen in verschienen Urkunden oder Karten, so Tiepelbach,      Tebbelbach, Theppelbach öder Töppelbach

Günter Schenk
20.11.2019



Aufsatz aus dem Heimatjahrbuch des Kreises Daun von 1999

Gefundener und wieder untergegangener Zeuge
der Geschichte

Günter Schenk, Gillenfeld

Lenkt der Wanderer seinen Schritt vom Etzerather Bann vor dem Friedbüsch gegen Westen, lässt er noch einmal seinen Blick über die Weite der Hochebene schweifen, ehe der Wald ihn aufnimmt. Jäh bricht das gleißende Licht des Sommertages unter dem dichten Blätterdach des alten Buchenbestandes. Majestätisch breiten sich Ruhe und Frieden aus. Langsamer wird der Schritt, in dem Empfinden, in die dunklen Hallen eines gewaltigen Domes eingetreten zu sein. In diesem gedankenversunkenen, fast ehrfurchtsvollen Wandeln, öffnet nach ein paar hundert Metern der Dom ein Fenster. Eine Lichtung ist es, illuminiert durch der Sonne Glanz. Unweigerlich hält man inne, gefesselt von der Schönheit der Natur. In einen schmalen Taleinschnitt lässt der Wald das Sonnenlicht einfluten, welches eine saftige Wiese, durchsät mit bunten Blumen, hervorzaubert. Mehrere Rinnsale finden sich zu einem Bächlein, das murmelnd und springend den Weg zum nahen Sammetbach sucht. Das alles genießend, in sich aufsaugend, bemerkt man erst jetzt das Schild am Rande der Lichtung. »Dreiherrenstein« steht darauf zu lesen und seine Spitze weist zur Wiese hin. Und richtig – beim näheren Hinsehen leuchtet dort etwas aus dem hohen Gras. Ein kräftiger Basaltstein ist es, an dessen Rand man ebenfalls den Hinweis »Dreiherrenstein« angebracht hat.

Was hat das nun auf sich?

Vorstehende Beschreibung führt in das Jahr 1959 zurück. Der damalige Gillenfelder Schulleiter, Hauptlehrer Fritz Reiber, war, wie die Schulmeister früherer Zeit, um die Kultur seines Dienstortes bemüht. Dabei hatte es ihm besonders die Gillenfelder Geschichte angetan. Im Zuge seiner Studien und Recherchen stieß er mehrfach auf die Erwähnung des Dreiherrensteins. So verkündete ein Extrakt des Bezirks- und Gangbuches Gillenfelder Gerechtigkeit aus den Jahren 1524 und 1551 folgendes: »Aus der Tippelbach bis auf den Stein, steht in der Mitte, weißt dreier Herren Gerechtigkeit, Trier vom Hause Dhaun, Graf von Manderscheid und Gillenfelder Gerechtigkeit. Wenn die drei Herren einen Tisch stellen auf den Platz, mag jeglicher Herr auf seiner Herrlichkeit sitzen, ohngehindert des anderen.« Gleiches bestätigt das Manderscheider Weistum von 1616. Es heißt darinnen: »Die Tippelbach aus steht eine Mark, da können drei Herren miteinander essen und trinken, jeder auf seiner Hoheit.« Ein Zeugnis alter Einwohner zu Strohn vom 7. 10. 1723, also rund 100 Jahre später, reiht sich hier ein. Sie bezeugen an Eides statt:

»Sie hätten von ihren Vorfahren und alten Leuten sagen gehört, dass der große Stein in der Tippelbach in der großen Schlehenhecke, dreier Herren Hoheit und Gerechtigkeit, das kurtrierische Amt Daun, die Grafschaft Manderscheid und Gillenfeld abscheide und allzeit der Dreiherrenstein genannt worden sei und immer noch so genannt werde.« Während in den vorstehenden Weistümern und Zeugnissen für Strohn Kurtrier und dessen Amt zu Daun und für Wallscheid die Grafen von Manderscheid genannt werden, ist immer nur von Gillenfelder Gerechtigkeit die Rede. Nun ist es keineswegs so, dass Gillenfeld sich jener zeit frei von Herrschaft und Obrigkeit mit Zehnt- und Fronleistungen hätte schätzen dürfen. Gillenfeld war dem Florinstift zu Koblenz zu Lehen gegeben und hatte sogar durch Urkunde Kaiser Heinrichs II. im Jahre 1016 das Markt-, Münz- und Zollrecht erhalten. Weshalb nun als dritter Herr am Tische das Florinstift urkundlich nicht erwähnt ist, entzieht sich unserer Kenntnis. So weit, so gut. Mit der Tippelbach und der großen Schlehenhecke hatte Reiber nun Indizien auf den Dreiherrenstein – und den wollte er finden. Schüler der älteren Jahrgänge wurden zu Suchtrupps, rekrutiert und unterstützt durch freiwillige Helfer ging es der Schlehenheeke an den Kragen. Aber und aber mal wurde sie durchkämmt. Eine Tortur in dem dornigen Gestrüpp mit Schrammen und Blessuren. Doch der Erfolg blieb aus. Fast glaubte man schon nicht mehr an die Existenz des geschichtsträchtigen Steines und wollte das Unterfangen aufgeben, als Reiber einem Hinweis aus Strohn folgend – ein Teil der Hecke sei in früheren Jahren gerodet worden – auch das unterliegende Wiesengelände durchsuchte. Und siehe da, man wurde fündig. Groß war die Freude, den jahrhundertealten Markstein wiederentdeckt zu haben, die dann auch dazu führte, das Relikt entsprechend zu präsentieren und zu beschildern. Selbst wir Schüler, damals in den ersten Jahrgängen, mussten den geschichtsträchtigen Stoff über uns ergehen lassen und machten gar eine Wanderung zum Dreiherrenstein. Bis heute blieb mir in Erinnerung, wie ich damals als kleiner Bub, in der kindlichen Phantasie die »drei Herren« in der Wiese am Tippelbach gemeinsam zu Tische sah: In langen, wallenden Gewändern, ausstaffiert mit den Insignien der Macht, frönend des Essens und Trinkens, dabei bedacht, dass jeder auch ja auf seiner »Herrlichkeit« saß.

Doch wie schnell fliehen der Kindheit Träume. Führt mich heute, nach fast 40 Jahren, der Weg von der Etzerather Höhe zum Sammetbach, so nimmt mich der Friedbüsch an der gleichen Stelle auf. Aber der Dom ist nicht mehr so dunkel und ehrfurchtsvoll. Umwelteinflüsse haben die Wipfel seines Daches lichter werden lassen. Doch weiter, zum Dreiherrenstein:

Dort vorne, das einbrechende Licht muss die Stelle markieren. Alles ist anders! Wo ist die Wiese, der Tippelbach, die Hinweisschilder – wo der Dreiherrenstein?

Der gesamte Grund des anmutigen Tälchens ist mit einer Fichtenkultur zugepfercht. Ein Holzabfuhrweg in Autobahnbreite schneidet das Tal quer und verbirgt unter sich irgendwo den Tippelbach; – gar auch den Dreiherrenstein? Schlimme Befürchtungen kommen auf. Suchen in der Fichtenkultur! Wie war es früher? Suchen an der Wegeböschung! Da! Halb überdeckt ein Basaltstein. Er ist es!

Er ist also noch da, der »Dreiherrenstein«, nur im Bewusstsein der Menschen ist er wieder verlorengegangen.